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13. Woche im Jahreskreis B

Pfungen 30. Juni 2024

Da kam die Frau, zitternd vor Furcht… und fiel vor ihm nieder (Mk5, 33)

Liebe Mitchristen,
Ab und zu bekomme ich eine Mail oder WhatsApp, wo Angehörige oder Freunde fragen, wie es mir geht. Da tendiere ich dann zu antworten «I am managing» Ich versuche mit der Situation zu leben. Man muss mit zunehmendem Alter mit mancher altersbedingten Krankheit leben. Die Zeiten sind vorbei, wo man einfach mit «mir geht es gut, oder mir geht es schlecht» antworten konnte. Jetzt ist die Antwort: I am managing!
Eine Krankheit, welche im Alter auftauchen kann, ist die Inkontinenz. Es ruft ein grosses Schamgefühl bei den Patienten hervor. Man kann nicht mehr unter die Leute gehen, ohne Angst zu haben, von dieser Krankheit entblösst zu werden. Selbst ein Feuchttuch ist nur bedingt eine Hilfe, denn oft fühlt man sich trotzdem nicht mehr wohl dabei. Es ist manchmal sehr schwierig, sowohl für den Patient als auch für seine Angehörigen oder Gastgeber, wenn über diese Entwicklung geschwiegen wird und jeder in Stille darunter leidet, weil viel Schamgefühl damit verbunden ist. Hier ist jemand der viel Respekt gehabt hatte und viel im Leben bewegt hat und nun wird er wieder wie ein Kind, der seine Blase nicht mehr unter Kontrolle hat! Hier wird uns vor Augen geführt, wie wir morgen werden können: Wieder wie ein Kind, angewiesen auf die Hilfe anderer! Das reden ist nicht einfach, besonders dort wo der Patient glaubt, seine Inkontinenz seiner Umgebung gegenüber verstecken zu müssen und in die Trickkiste greift! Das kann die Situation nur noch schlimmer machen, wenn man über diese neue Situation nicht reden kann.
So können wir gut nachvollziehen wie es dieser Frau heute im Evangelium erging, die 12 Jahre ihre Blutung hatte. Wir können nachvollziehen, wie sie seit 12 Jahren durch die Hölle ging, sich kaum vor den Menschen zeigen konnte und in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt gewesen ist. Sie war den Blicken der Menschen ausgesetzt und wahrscheinlich von ihnen unerwünscht gewesen. Neben der Scham, welche ihre Blutung verursacht hat, kommen noch andere Erfahrungen hinzu. Die schmerzhafte religiöse Konnotation, vor Gott und der Gemeinde unrein zu sein und es deswegen gilt, sich von ihnen fernzuhalten. Das erklärt auch, warum sie sich heimlich von hinten an Jesus heranschleicht. Wer weiss, wie Jesus selbst darauf reagieren würde, auch wenn sie innerlich wusste, Jesus kann sie heilen.
Sehen wir uns auch die Rolle der Menschenmenge und der Jünger Jesu dazu an. Hilfreich waren sie alle nicht, eher hinderlich. Jesus dreht sich um und blickt die Frau an, er wollte sie sehen. Die Person, welche die Menschen eigentlich nicht sehen wollen und sie am besten am Rande der Gesellschaft bleiben soll. Diese Person nimmt Jesus nun in die Mitte und beendet dadurch ihre gesellschaftliche Isolierung. Nun fasste sie sich Mut und sie geht zitternd zu Jesus und gesteht ihm, was mit ihr los ist, wie sie 12 Jahre lang ihre Blutung hat. Alle Stimmen der Menschenmenge und ihr Tuscheln spielen nun keine Rolle mehr. Jesus schafft eine Begegnung und einen Austausch. Er hört sich ihre Leidensgeschichte an! Unter den Augen Jesus gewinnt sie den Mut, einen Einblick in ihr inneres Leben zu gewähren. Mit Jesus ist die Zeit der Schamgefühle zu Ende. Diese Frau, die sonst in Anonymität gelebt hat, findet die Sprache für ihre innere Wahrheit. Jesus macht ihr Mut, gibt ihr wieder Selbstwertgefühl und nennt sie «meine Tochter».
Beten wir heute, dass wir mit manchen Entwicklungen im Alter besser umgehen können, denn morgen könnte es uns treffen. Stellen wir den Menschen in den Mittelpunkt, denn dies allein kann sehr heilend wirken. Lernen wir, über Dinge zu reden, besonders dann, wo niemand etwas dafür kann. Nehmen wir den Menschen ihr Schamgefühl und holen wir sie raus aus der gesellschaftlichen Isolierung, indem es uns bewusster wird, dass alt werden mit machen Unannehmlichkeiten verbunden ist. Dazu die Feststellung, dass der Mensch eine Person ist und würdig bleibt, selbst wenn er alle seine körperlichen und geistigen Kräfte verlieren sollte. … Amen